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Tell Chuera - der Fundort

Der Tell Chuera liegt im Nordosten Syriens, in der Mitte zwischen Balich und Habur, den beiden wichtigsten Nebenflüssen des Euphrat. Fünf Kilometer nördlich des Tell (=Ruinenhügel) verläuft die Bagdad-Bahn, die heute die Grenze zwischen Syrien und der Türkei markiert. Die Landschaft ist eine flache, baumlose Steppe, in der sich heute nur verstreut angelegte Dörfer befinden. Die jährliche Regenmenge reicht aus, um kärglichen Ackerbau zu betreiben, daneben lebt die Bevölkerung hauptsächlich von der Schafzucht. In der Antike dürfte ein Wadi, das heute die meiste Zeit des Jahres trockenliegt, ständig Wasser geführt haben, so daß das Gebiet ein höheres landwirtschaftliches Potential als heute gehabt hat. Der Tell Chuera ist ein fast kreisrunder Hügel von ca. 950 Metern Durchmesser und bis zu 18 Metern Höhe und damit einer der größten Tells in Syrien. Im Zentrum befindet sich die erhöht liegende Oberstadt mit einem Durchmesser von ca. 600 Metern. Wie ein Kranz umgibt die tiefer gelegene Unterstadt diesen Bereich. Wegen dieser äußeren Form wird der Tell Chuera als ein Kranzhügel bezeichnet. Heute sind ungefähr 15 weitere Kranzhügel bekannt, die sich alle in den Steppengebieten Nordost-Syriens befinden. Sie sind alle in der gleichen Zeit, im 3. Jahrtausend v.Chr., entstanden und scheinen neben der äußeren Form auch eine Vielzahl weiterer Gemeinsamkeiten aufzuweisen. Größere Ausgrabungen haben allerdings neben dem Tell Chuera nur auf dem Tell Beydar stattgefunden, der an einem der Nebenflüsse des Habur gelegen ist. Dort finden seit 1991 Grabungen einer europäisch-syrischen Expedition unter der Leitung des Belgiers Marc Lebeau statt. Der Tell Chuera wurde 1913 von Max Freiherr von Oppenheim erstmals als bedeutende antike Siedlung erkannt und beschrieben. Die ersten Grabungen führte 1955 der französische Baugeschichtsforscher Jean Lauffray durch. Systematische Ausgrabungen begannen 1958 unter der Leitung von Anton Moortgat, Professor für Vorderasiatische Archäologie an der Freien Universität Berlin. Er leitete die Grabungen, die aus politischen Gründen zwischendurch für einige Jahre unterbrochen werden mußten, bis zu seinem Tod im Jahr 1977. Von 1982 bis 1985 führte Ursula Moortgat-Correns aus Berlin die Ausgrabungen weiter, in den ersten beiden Jahren in Zusammenarbeit mit Prof. Winfried Orthmann von der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Ab 1986 leitet Prof. Orthmann die Grabungen in alleiniger Verantwortung; seit 1994 ist das Projekt an der Martin Luther-Universität Halle- Wittenberg beheimatet. Die erste Siedlung an dieser Stelle ist in der Halaf-Zeit, im 5.Jahrtausend v.Chr., entstanden. Der Ort wurde allerdings im 4.Jt. aufgegeben und erst nach einer längeren Pause wieder besiedelt. In den ersten Jahrhunderten des 3.Jahrtausends v.Chr. wird an gleicher Stelle eine Stadt gegründet, die von Beginn an eine beträchtliche Ausdehnung hatte. Aus dieser Frühzeit (Periode Chuera IA) ist uns allerdings kaum etwas bekannt, da die entsprechenden Reste von einem dicken Paket jüngerer Schichten überlagert werden. Die ältesten bei den Ausgrabungen angetroffenen Schichten (Periode IB) stammen aus dem zweiten Viertel des 3. Jahrtausends (ca. 2700-2600). In der Periode IC (ca. 2600-2450) ist die Stadt bereits zu imponierender Größe angewachsen. Sie hatte mehrere tausend Einwohner, ein Wegenetz mit einer zentral verlaufenden Hauptstraße und radialen Erschließungsstraßen und eine Reihe von großen Tempeln, vor allem entlang der Hauptstraße.

Welchen Namen die Stadt in dieser Zeit getragen hat, wissen wir nicht. In der nachfolgenden Periode Chuera ID (ca. 2450-2300) werden die Tempel im Stadtzenrum zu einer Kultanlage von gewaltigen Dimensionen (200 Meter Länge) zusammengefaßt, deren Bedeutung sicherlich weit über den Ort hinausreichte. In dieser Zeit ist die Stadt von einer massiven Stadtmauer aus Lehmziegeln umgeben, die ungefähr 10 Meter hoch gewesen ist. Wahrscheinlich hat die Stadtmauer schon in der vorangehenden Periode bestanden, dies ließ sich bisher aber nicht beweisen. In Periode ID gehört auch der älteste bisher bekannte Palast im Nordwesten der Oberstadt. Die Periode Chuera IE (ca. 2300-2200) ist in die Akkad-Zeit zu datieren, als es Herrschern aus dem südlichen Mesopotamien erstmals gelang, weite Teile des Vorderen Orients unter ihre Kontrolle zu bringen. Wie viele andere Siedlungen der Region verliert auch der Tell Chuera in dieser Zeit an Bedeutung. Wir wissen nicht, ob politische, soziale oder ökologische Faktoren für diesen Niedergang verantwortlich sind, vielleicht wirkten sie alle zusammen. Unterstadt und Stadtmauer werden zu dieser Zeit aufgegeben, die Siedlung beschränkt sich nun auf die Oberstadt, die wahrscheinlich mit einer neu angelegten Mauer eingefaßt wurde. Der Palast und die meisten Tempel werden aufgegeben, auf ihnen entstehen Wohnhäuser und Werkstätten. Um 2200 wird die Stadt ganz verlassen. Eine Wiederansiedlung erfolgte im 14.Jahrhundert v. Chr., als dieser Teil Syriens zum Mitanni-Reich gehörte, dessen Hauptstadt am Oberlauf des Habur gelegen hat. In dieser Zeit (Periode IIA) ist nur der nördliche Teil der Oberstadt besiedelt. Ausgegraben wurden mehrere Wohnhäuser und eine Tempelanlage dieser Periode. Nach dem Untergang der Mitanni-Herrschaft versuchten die Assyrer, deren Erbe zu übernehmen. Die Überreste aus mittelassyrischer Zeit bilden die Periode IIB (ca. 1250-1150) auf dem Tell Chuera. Im Norden der Oberstadt wurde die Residenz eines lokalen assyrischen Statthalters ausgegraben. Tontafeln aus diesem Gebäude nennen als Namen der Stadt zu dieser Zeit Harbe, was soviel wie "Wüstung " oder "Ruinenstätte " bedeutet. Aus den Texten geht auch hervor, daß Harbe eine Bevölkerung von einigen hundert Personen gehabt haben dürfte und daß es vor Ort einen Tempel der Liebes- und Kriegsgöttin Ischtar gab. Noch im 12. Jahrhundert v. Chr. wurde die Stadt verlassen und erst in unserem Jahrhundert in sehr kleinem Umfang wieder bebaut. Auf dem Tell Chuera sind im Laufe der inzwischen 20 Grabungskampagnen verschiedene Bereiche der antiken Stadt ausgegraben worden. Sie werden jeweils durch Großbuchstaben bezeichnet. Die wichtigsten Grabungsstellen sind:

A  Steinbau 1B  Steinbau 2 und 4D  Steinbau 3E  Steinbau 5 und TöpferviertelF  "Palast"G  Mittelassyrische SiedlungH  "Häuserviertel"K  "Kleiner Antentempel"M  Mitanni-BauP  Unterstadt und Stadtmauer

In jedem einzelnen dieser Bereiche werden die Schichten separat von oben nach unten gezählt. Ihre Verteilung auf die Perioden der Chuera-Sequenz ergibt sich aus der folgenden Tabelle:

Vereinfachte Übersicht zur relativen Chronologie der wichtigsten Grabungsbereiche auf dem Tell Chuera

Vereinfachte Übersicht zur relativen Chronologie der wichtigsten Grabungsbereiche auf dem Tell Chuera

Vereinfachte Übersicht zur relativen Chronologie der wichtigsten Grabungsbereiche auf dem Tell Chuera


Grabungsbereiche

Grabungsbereiche

Grabungsbereiche

Bereich A - Steinbau I

Bereits vor Beginn der Grabungen auf dem Tell Chuera waren an einer Stelle im Südosten der Oberstadt gewaltige Kalksteinblöcke in einer über 20 Meter langen Reihe zu erkennen. Sie waren der Anlaß, an dieser Stelle eine Grabung in größerem Umfang zu beginnen. Das ab 1958 freigelegte monumentale Gebäude erhielt von den Ausgräbern den Namen Steinbau 1. Weitere, ähnlich konstruierte Anlagen wurden Steinbau 2 und 3 benannt. Sie alle gehören zu einem großen Tempelkomplex, der sich nördlich einer Straße auf ungefähr 200m Länge hinzieht. Steinbau 1 ist ein Gebäude von 27m Länge und 15,5m Breite. Die erhaltene Höhe beträgt 6m. Da die Anlage keinen Eingang aufweist, kann sie nur als Sockel eines inzwischen verschwundenen Gebäudes aus Lehmziegeln verstanden werden. Der Aufgang zu diesem Gebäude war von der östlichen Schmalseite des Steinbau möglich, wo insgesamt vier nacheinander errichtete Rampen freigelegt werden konnten. Die Außenmauern des Steinbaus sind massiv aus Kalksteinen von bis zu 1,5m Länge gesetzt, während im Inneren Erde und Schutt anfgefüllt und mit einer Lage von Steinbrocken abgedeckt wurden. Genauere Untersuchungen im Kern der Steinterrasse waren wegen des großen technischen Aufwandes bisher nur in kleinem Umfang möglich. Es konnte nachgewiesen werden, daß der Kernbau mindestens einmal um ca. 1m erhöht wurde. Da sich in der östlichen Hälfte des Steinbaus eine massiv gesetzte Quermauer abzuzeichnen scheint, kann man vermuten, daß sich im oberen, jüngeren Teil des Sockels die Grundmauern des Aufbaus abzeichnen. Wenn dies zutrifft, dann dürfte das durch die Erosion zerstörte Lehmziegel-Gebäude die Form eines sog. Antentempels gehabt haben, wie er für Tell Chuera mehrfach belegt ist (Bereiche D, K, L und N). Die monumentale Architektur des Steinbau 1 führte bereits in der Antike zu statischen Problemen: seine Mauern drohten nach Südwesten einen Abhang herunterzurutschen. Aus diesem Grund wurden Terrassen an den Kernbau angesetzt, um diesen zu stabilisieren. An der besonders gefährdeten Südwestseite mußte sogar eine zweite Terrasse errichtet werden, um den gesamten Bau zu erhalten. Bei der ersten Reihe von Grabungen im Bereich A (1958-1963) wurde der Kernbau, die anschließenden Terrassen und einige Räume nördlich des Steinbaus freigelegt. Ungeklärt blieb freilich die Relation zwischen dem Steinbau und seiner Umgebung. Diese Fragestellung bildete einen Schwerpunkt der seit 1986 unternommenen neueren Ausgrabungen am Steinbau 1. Der Steinbau 1 ist nicht die älteste Tempelanlage an dieser Stelle. Nördlich des Kernbau wurde ein aus Lehmziegeln errichtetes Gebäude teilweise ausgegraben, das durch seine Nischenfassade eindeutig als Kultbau gekennzeichnet ist. Eine Erweiterung dieses Gebäudes diente der Tempelwirtschaft: Hier fanden sich Vorratsräume und eine Backstube. Der Steinbau 1 blockiert eine Tür dieser Tempelanlage und muß daher jünger als diese sein. Eine Weile lang bestanden beide Anlagen jedoch gleichzeitig; diese Zeit entspricht den Schichten 7b1 und 7a, bzw. der Endphase der Periode Chuera IC. Später wurde der Lehmziegeltempel aufgegeben (ab Schicht 6), während der Steinbau anscheinend noch lange in Benutzung blieb. In dem genannten Ziegelbau und in weiteren, weiter westlich gelegenen Räumen der Schicht 7 wurden schon seit Ende der 50er Jahre Kultgeräte, wie reliefverzierte Gefäßständer, gefunden. Die neueren Grabungen ergänzen dieses Bild. Die beiden jüngeren Rampen, die den Aufgang auf den Steinbau ermöglichen, waren von einer kiesgepflasterten Hoffläche im Osten des Steinbau zu betreten, sie gehören zur Schicht 7a. In diesen Tempelhof konnte man durch den Steinbau 2 gelangen. Die Gebäude der Schicht 7b1 sind durch eine Brandkatastrophe zerstört worden. Im Brandschutt sind bisher knapp 20 menschliche Skelette gefunden worden, die offensichtlich nicht bestattet wurden. Am wahrscheinlichsten ist, daß diese Menschen bei einer militärischen Auseinandersetzung getötet wurden. Weitere Skelette sind im Brandschutt der Schicht 4 am Steinbau 2 gefunden worden; diese Menschen dürften der gleichen Katastrophe zum Opfer gefallen sein.

Kultbauten im Stadtzentrum

Kultbauten im Stadtzentrum

Kultbauten im Stadtzentrum

Bereich B - Steinbau II und IV

Vom Steinbau 2 waren bereits vor Beginn der Grabungen einige Steine an der Oberfläche zu erkennen. Bereits nach der ersten Grabungskampagne 1958 war jedoch klar, daß die Steine, im Unterschied zu den Steinbauten 1 und 3, keinen geschlossenen Sockel, sondern die untere Lage einer Mauer darstellen. Wie sich später zeigte, steht aber auch dieses Gebäude auf einem Sockel aus großen Kalksteinbrocken. Lange Zeit nahm man an, daß der Steinbau 2 ein eigenständiges Gebäude, wahrscheinlich ein Antentempel syrischen Typs, gewesen sei. Bei genaueren Untersuchungen in den letzten Jahren stellte sich jedoch heraus, daß das ursprünglich freistehende Gebäude bald nach seiner Errichtung umgebaut wurden. Beide Schmalseiten weisen einen breiten Durchgang auf. Daher liegt es nahe, den Steinbau 2 nicht als Tempel, sondern als Torgebäude zu interpretieren. Inzwischen ist gesichert, daß man dieses Tor durch eine kiesgepflasterte Rampe von der südlich gelegenen Straße betreten konnte. Man gelangte in einen großen Hof, von dem aus über eine Treppe der Tempel auf dem Steinbau 1 betreten werden konnte. Die gesamte Tempelanlage ist im Süden von einer massiven Mauer abgeschlossen, die Steinbau 2 und die Südterrasse des Steinbau 1 miteinander verbindet. Im Jahre 1991 wurde nördöstlich des Steinbaus 2 eine Bäckerei entdeckt, die vermutlich zur Versorgung der Tempelanlage und ihrer Besucher genutzt wurde. Steinbau 4 ist erst 1995 entdeckt worden, die Grabungen sind noch längst nicht abgeschlossen. Von der Anlage ist bisher nur die südliche Abschlußmauer einer Terrasse ausgegraben worden, deren Fundament aus großen Kalksteinen besteht. Das aufgehende Mauerwerk ist aus Lehmziegeln gemacht. Mit einer Länge von über 65m weist der Steinbau 4 die größte Ausdehnung der bisher bekannten Steinbauten des Tell Chuera auf. Bisher ist noch nicht geklärt, von wo aus die Terrasse betreten werden konnte. 1997 konnte im Bereich des Steinbaus 4 eine geomagnetische Prospektion durchgeführt werden. Dabei stellte sich heraus, daß im Zentrum der Terasse ein sehr großes, rechteckiges Bauwerk angenommen werden kann. Wenn es sich, wie zu vermuten, um einen Tempel handelt, dann wäre dieser der bislang größte Kultbau auf dem Tell Chuera. Die Steinbauten 2 und 4 gehören zur Schicht 3 des Grabungsbereiches B, die in den Anfang der Periode Chuera ID zu datieren ist. Beide Gebäude sind in der darauffolgenden Schicht 2 nicht mehr benutzt worden; zu dieser Zeit entstehen Privathäuser. Schicht 1 ist bereits im 2.Jahrtausend entstanden, als der Tell Chuera nach ca. 800 Jahren Pause nochmals besiedelt wurde. Die Steinbauten 2 und 4 überbauen die Strukturen der Schicht 4, die älteste in diesem Bereich erreichte Schicht. Sie enthält Gebäude, die in einer Brandkatastrophe zerstört wurden. Daher hat sich in einigen Räumen ein vollständiges Inventar erhalten. Zwei dieser Räume sind offenbar als Lagerräume eines größeren öffentlichen Gebäudes genutzt worden; die Kapazität der in ihnen gefundenen Vorratsgefäße überschreitet jedenfalls das für Privathaushalte übliche Maß. Welcher Art das zugehörige Gebäude ist, kann bisher noch nicht gesagt werden. Da im Alten Orient Kultbauten aber bevorzugt an solchen Stellen errichtet wurden, die bereits zuvor sakral genutzt waren, ist es wahrscheinlich, daß auch in Schicht 4 hier ein Tempel bestand. Auf den Fußböden und im Brandschutt der zerstörten Schicht 4 sind über 20 menschliche Skelette gefunden worden. Sie sind nicht bestattet, sondern sind in teilweise verrenkten Positionen gefunden worden. Diese Menschen sind bei der Katastrophe, die zum Brand der Schicht 4 führte, ums Leben gekommen. Ein ganz ähnlicher Befund zeigt sich in Schicht 7 am Steinbau 1.

Kultbauten im Stadtzentrum

Kultbauten im Stadtzentrum

Kultbauten im Stadtzentrum

Bereich D - Steinbau III

Steinbau 3 ist der äußerste in einer ca. 200m langen Reihe von Kultbauten, die sich nordöstlich einer Straße auf der Oberstadt des Tell Chuera befinden. Er besteht aus zwei Teilen: Einem rechteckigen, massiven Steinsockel, der als Fundament eines daraufstehenden Gebäudes aus Lehmziegeln diente sowie einer 13m breiten Freitreppe, über die man das Gebäude betreten konnte. Der Sockel (ca. 16x14m) ist im oberen Teil beschädigt, so daß Details seines Aufbaus erkennbar sind. Offenbar wurden die Grundmauern massiv in Stein aufgeführt und danach mit Schotter und Lehm zugesetzt. Die sichtbaren Grundmauern wurden bisher als Fundamente eines Antentempels mit weit vorgezogenen Anten gedeutet. Die elektromagnetische Prospektion der Umgebung im Jahre 1997 läßt aber auch die Möglichkeit offen, daß der Steinbau 3 ein monumetales Propylon für den Tempel im Inneren des Steinbaus 4 darstellt. Eine Klärung dieser Frage ist noch durch Untersuchungen vor Ort zu erreichen. Das Gründungsniveau des Steinsockels liegt deutlich höher als das Niveau der niedrigsten Treppenstufe. Dieser Niveauunterschied deutet darauf hin, daß sich unter dem Steinsockel ein Vorgängerbau befinden könnte, durch den das Gelände in die Höhe gewachsen ist. Die Freitreppe des Steinbaus 3 nimmt ihren Anfang am Rand der Oberstadt des Tell Chuera. Sie muß daher schon von weitem zu sehen gewesen sein. Wer die Stadt im Südosten, wo sich eines der Haupttore befand, betrat, konnte die Treppe und den dahinter liegenden Hochtempel in ca. 200m Entfernung gar nicht übersehen; die Hauptstraße führte direkt vom Tor dorthin. Auf diese Weise wurden auch ortsunkundige Besucher schnell auf den Weg zu den großen Tempelanlagen gewiesen. Der Steinbau 3 ist zur Zeit der Periode IC entstanden und war zumindest im ersten Teil der Periode ID noch in Benutzung. Kaum erhaltene Besiedlungsspuren aus der Zeit der Periode IE zeigen, daß das Gelände nach der Aufgabe des Steinbaus nicht siedlungsleer blieb, sondern mit Privathäusern bebaut wurde.

Bereich E - Steinbau V und "Töpferviertel"

Dieser Grabungsbereich im Südwesten der Oberstadt ist nur 2 Kampagnen lang, in den Jahren 1973 und 1976, untersucht worden. Anlaß für die Arbeiten waren Steinfundamente eines größeren Baus, die bereits vor Beginn der Ausgrabungen an der Oberfläche sichtbar waren. Bereits nach kurzer Zeit stellte sich heraus, daß dieses Gebäude, das den Namen Steinbau 5 erhielt, sich deutlich von den anderen Steinbauten im Stadtzentrum unterscheidet. Nichts erinnert beim Steinbau 5 an Kultbauten, vielmehr handelt es sich um eine größere Wohn- oder Residenzanlage, bei der sich die Haupträume um einen großen Hof gruppieren. Leider ist der Bau nur sehr niedrig erhalten. Da er zudem planmäßig verlassen wurde, sind nur sehr wenige Funde gemacht worden. Es ist daher schwierig, Aussagen zur genauen Nutzung einzelner Gebäudeteile oder des gesamten Baus zu treffen. Der Steinbau 5 ist das jüngste an dieser Stelle ausgegrabene Gebäude, er gehört zur Schicht 1, die in die Periode Chuera IE datiert. Bei der Erweiterung der Grabungsfläche nach Nordosten wurden Privathäuser ausgegraben, die zu einem dicht bebauten Wohnviertel gehören. In den oberen beiden Schichten 1 und 2 ist hier in größerem Umfang Keramik produziert worden. Die hier gefundenen Becher und Schalen sind charakteristisch für die Periode IE; teilweise befanden sie sich noch in den Töpferöfen. Auch in den älteren Schichten 3 und 4 bestanden hier Wohnhäuser; die Lage der Häuser und Verkehrswege entspricht weitgehend dem jüngeren Zustand. Allerdings liegen unter dem Steinbau 5 in dieser Schicht ebenfalls normale Wohnhäuser. Hinweise auf eine Keramikproduktion fehlen für diese Schichten. Die vorgefundene Keramik unterscheidet sich von der aus den jüngsten Schichten und gehört in einen jüngeren Abschnitt der Periode Chuera ID.

Bereich F - Palast F

Bei den seit 1985 durchgeführten Ausgrabungen im Bereich einer Kuppe im Nordwesten der Oberstadt des Tell Chuera sind ein Siedlungs- und Werkstättenviertel aus der Akkad-Zeit (Schicht 1) und ein darunter liegendes, palastartiges Gebäude aus der ausgehenden Frühdynastischen Zeit (Schicht 2) angetroffen worden. Bauschicht 1 läßt sich beim gegenwärtigen Kenntnisstand in drei Bauphasen einteilen. Die älteste Bauphase 1c ist durch die teilweise Wiederbenutzung von Palasträumen, die Anlage kleiner Räume im Bereich der Palasthöfe und durch die Anwesenheit von Keramikwerkstätten gekennzeichnet. In einem Brennofen fanden sich noch über 60 Becher einer Form, die für die Periode Chuera IE kennzeichnend ist. Bauphase 1b stellt teilweise nur einen Umbau der Phase 1c dar, bei dem die Struktur der meisten Gebäude erhalten blieb. Bauphase 1a befindet sich unmittelbar unter der rezenten Telloberfläche. Sie ist durch die Erosion teilweise stark beschädigt. Die Gebäudegrundrisse dieser Bauphase weichen an einigen Stellen deutlich von jenen der Phase 1b ab. In Schicht 1b ist 1992 ein Rollsiegel gefunden worden, das in die Akkad-Zeit datiert werden kann. Zusammen mit der Keramik, den Terrakottafiguren und bestimmten Stein- und Metallgeräten, die alle in akkadische Zeit datiert werden können, bietet es eine gute Basis für die zeitliche Einordnung der Periode Chuera IE, in der die zuvor wichtige Stadtanlage erheblich an Bedeutung eingebüßt hat. In Bauschicht 2 wird die gesamte Kuppe F von einem großen öffentlichen Gebäude eingenommen, das als "Palast" bezeichnet wird. Aufgrund der bereits bei seiner Anlage bestehenden Höhenunterschiede ist es terrassiert angelegt. Der Höhenunterschied von ungefähr 2m konnte durch eine steinerne Freitreppe überwunden werden. In einer ersten Bauphase (2b2) mißt das Gebäude ca. 45 x 45 m, es wird später um ca. 20 m nach Westen erweitert (Bauphase 2b1). In dieser Zeit dürfte der "Palast" seiner ursprünglichen Konzeption gemäß genutzt worden sein. In Bauphase 2a hingegen sind die Räume der unteren Terrasse nicht mehr in Gebrauch. Auch im höhergelegenen Teil des Baus werden ganze Raumketten zugesetzt; in anderen Räumen werden Werkstätten eingerichtet. Die westliche Abschlußmauer des Palastes ist mit über 6m Breite außerordentlich mächtig, offenbar lehnt sich der Palast hier an eine Art innere Stadtmauer an, mit der lediglich die Oberstadt des Tell Chuera umgeben wurde. Die zentralen Repräsentationsräume befanden sich im Osten der oberen Terrasse. Von der Treppe aus konnte man in einen Hof gelangen, von dem aus ein 12x8 m großer, sorgfältig gebauter Raum betreten werden konnte. Ein sorgfältig verputztes Podest an der dem Eingang gegenüberliegenden Seite des Raumes hat dazu geführt, hier von einem "Thronsaal" zu sprechen. Im Südwesten des Palastes befand sich ein Wirtschaftstrakt. In einigen Räumen waren große Vorratsgefäße installiert, die bei der Grabung noch an Ort und Stelle angetroffen wurden. Ansonsten war der Palast weitgehend fundleer, da er planmäßig aufgegeben wurde. Zuerst wurde dabei die untere Terrasse aufgegeben. Dies dürfte unter anderem statische Gründe gehabt haben: Im Norden konnte beobachtet werden, daß eine Terrassenmauer durch den seitlichen Druck der höher gelegenen Bauteile noch während der Benutzung des Gebäudes kollabiert und in die tiefer gelegen Räume gestürzt ist. Schicht 3 ist bisher nur an wenigen Stellen erreicht worden. Es ist aber bereits klar, daß auch zu dieser Zeit ein größeres öffentliches Gebäude auf der Kuppe F stand. Seine Dimensionen dürften ungefähr der oberen Terrasse des Schicht 2-Palastes entsprechen. Keramikfunde erlauben es, Schicht 3 in eine frühere Phase der Periode ID zu datieren. In Periode IC ist Schicht 4 zu setzen, in der sich ein entsprechendes Keramikinventar am Westhang der Kuppe gefunden hat.

"Palast", Schicht 2

"Palast", Schicht 2

"Palast", Schicht 2

Bereich G - Mittelassyrische Siedlung

Die höchste Erhebung des Tell Chuera befand sich -- vor Beginn der Grabungen -- im Nordosten der Oberstadt. Eine Kuppe setzte sich recht deutlich ab, ihr höchster Punkt lag 18m über der Umgebung des Tells. Oberflächenfunde hatten schon vor Beginn der Grabungen 1986 darauf hingedeutet, daß hier die Stadt des 3.Jt.s von einer Ansiedlung aus dem 2.Jt. überbaut sein könnte. Diese jüngere Siedlungsperiode des Tell Chuera konnte hier tatsächlich erfaßt werden. Die obersten drei Schichten stammen aus mittelassyrischer Zeit, d.h. aus dem 13. und 12.Jh. v.Chr., was der Periode Chuera IIB entspricht. Schicht 3 gründet unmittelbar auf der bereits erodierten Oberfläche des Tells aus dem 3.Jt. Die nur an wenigen Stellen erreichte Schicht 4 enthält Keramik der Periode ID. Die Kuppe G war demnach zwischen ca. 2350 und 1250 nicht besiedelt. In Schicht 3 wird ein größeres öffentliches Gebäude errichtet, das vermutlich von Osten her zugänglich war. Zu seinem Tor führt eine Gasse, an der sich zu beiden Seiten Privathäuser befinden. Die Nutzung des öffentlichen Gebäudes konnte geklärt werden, als sich 1992 ein Archiv mit ca. 60 Tontafeln fand: Es handelt sich um einen Statthalterpalast aus der Zeit der assyrischen Königs Tukulti-Ninurta I. (1243--1207). Der hier ansässige assyrische Beamte war für eine Gebiet mit einem Durchmesser von ca. 30km verantwortlich und offenbar dem Provinzgouverneur in Dur-Katlimmu (ca. 150km weiter südöstlich gelegen) unterstellt. Aus den Texten wissen wir, daß die Stadt in dieser Zeit den Namen Harbe getragen hat, was soviel wie Wüstung, verlassener Ort bedeutet. Dieser Name bezieht sich sicherlich auf die Ruinenstadt des 3.Jt.s. Harbe lag an einer wichtigen Verkehrsstraße, die vom assyrischen Kernland zur Euphratfurt bei Karkemisch führte. Aus dem Archiv geht hervor, daß durchreisende Händler und Diplomaten in Harbe Station machten. Die Stadt muß in dieser Zeit mehrere hundert Einwohner gehabt haben, in einem Text ist zudem von einem Tempel der Göttin Ischtar die Rede. In Schicht 2 wird der Statthalterpalast in erheblichem Maße umgebaut, es ist nicht einmal klar, ob er überhaupt noch als Residenz diente. Einige Räume können nicht mehr betreten werden, andere erhalten durch neu angelegte Türen eine andere Funktion. Aus Schicht 2 sind auch eine Reihe von Gräbern bekannt, die -- der mittelassyrischen Sitte folgend -- unter denFußböden der Wohnhäuser angelegt wurden. Besonders reich ausgestattet war das Grab eines ca. 11 Jahre alten Mädchens, das unter anderem 10 goldene Ohrringe enthielt. Aus Schicht 1 sind fast nur noch Gräber erhalten, die zugehörigen Wohnhäuser sind bis auf wenige Mauerreste der Erosion zum Opfer gefallen. Für die Schichten 2 und 1 fehlen eindeutige Datierungskriterien. Da sich allerdings das keramische Inventar dieser Schichten nur wenig von dem der Schicht 3 unterscheidet, ist ein größerer zeitlicher Abstand zwischen diesen Schichten nicht sehr wahrscheinlich; die genannten Schichten sind vermutlich in der ersten Hälfte des 12. Jh.s entstanden.

Mittelassyrischer Statthalter-Palast

Mittelassyrischer Statthalter-Palast

Mittelassyrischer Statthalter-Palast

Bereich H - Häuserviertel

Bereits Jean Lauffray hatte bei seinen Grabungen 1955 eine hoch aufragende Kuppe im Süden der Oberstadt des Tell Chuera anschneiden lassen, ohne daß ihm die hier angeschnittenen Strukturen verständlich waren. 1958 und 1959 wurden die Grabungen unter der Leitung von Anton Moortgat erheblich erweitert. Dabei stellte sich heraus, daß die ursprüngliche Erwartung, hier ein öffentliches Gebäude anzutreffen, unzutreffend war. Vielmehr fand sich ein Wohnviertel, dessen Häuser von einer Gasse aus zugänglich waren. Bei den frühen Grabungen wurde nicht geklärt, in welchem Verhältnis zu den großen Steinbauten 1--3 weiter nördlich und östlich dieses Wohnviertel steht. Daher wurde 1982 die Grabung im Häuserviertel mit der Anlage eines 3m breiten Hangschnittes wiederaufgenommen, mit dem die Grabungsbereiche H ("Häuserviertel") und B (Steinbau 2) miteinander verbunden wurden. Mit dem Erreichen dieses Ziels wurden die Arbeiten 1992 (vorläufig) abgeschlossen. Die obersten drei Schichten sind nur schlecht erhalten, sie gehören nach Ausweis der gefundenen Keramik in die Perioden IE (Schicht 1) und ID spät (Schichten 2 und 3). Auch Schicht 4 gehört noch in einen jüngeren Abschnitt der Periode ID. Großflächig freigelgt wurde Schicht 5, in der mindestens 14 Häuser ganz oder teilweise ausgegraben wurden. Sie gehört wie die Schicht 6 in einen älteren Abschnitt der Periode ID und ist gleichzeitig mit den Steinbauten 2 und 4 sowie der jüngeren Phase des Steinbau 1. Die Häuser gehören dem Typ des sogenannten Parzellenhauses an, der inzwischen auch an mehreren anderen Stellen auf dem Tell Chuera nachgewiesen werden konnte. Der Verlauf der Gassen im "Häuserviertel" deutet darauf hin, daß die Verteilung der Verkehrsströme durch relativ weit außen liegende Ringstraßen erfolgte, von denen dann radiale Stichstraßen abgingen, die in Sackgassen endeten. Möglicherweise war die quer über den Tell verlaufende Straße, die sich zwischen "Häuserviertel " und Steinbau 2 befindet, die einzige durchgehende Verkehrsverbindung in der Oberstadt. Die Schichten 7 und 8 sind nur im Bereich des Hangschnittes untersucht worden. Offenbar entsprechen die Hausgrundrisse und der Gassenverlauf den jüngeren Schichten. Die Funde aus diesen ältesten Schichten entsprechen dem Repertoire der Periode IC, sie sind also gleichzeitig mit dem verbrannten Gebäude unter dem Steinbau 2.

Parzellenhäuser

Parzellenhäuser

Parzellenhäuser

Bereich K - Kleiner Antentempel

In der Mitte des Tell Chuera befindet sich eine Senke, durch die die Hauptstraße der Stadt verlaufen sein muß. Unmittebar südlich davon erregte eine Kuppe mit stark aschehaltigem Schutt das Interesse der Ausgräber. 1963 wurde mit den Arbeiten in diesem Bereich begonnen. Schon bald unter der Oberfläche fand sich ein Gebäude, daß aufgrund seines charakteristischen Grundrisses leicht als Tempel erkannt werden konnte. Es handelt sich um einen Antentempel, der allerdings im Gegensatz zu den sonstigen Antentempeln auf den Tell Chuera vollständig aus Lehmziegeln gebaut ist. Nach diese Gebäude erhielt der gesamte Grabungsbereich den Namen "Kleiner Antentempel ". Um den Tempel herum fanden sich Häuser, die von der Ausgräberin U.Moortgat-Correns als Wohnungen der Priester und des sonstigen Kultpersonals verstanden wurden. Folglich interpretierte sie den im Lauf der Zeit freigelegten Bezirk als Kultviertel. Diese Auffassung hat sich jedoch nicht als haltbar erwiesen: Der Grabungsbereich K enthält ein normales Wohnviertel, in dem sich eine kleine örtliche Kultstelle befand. Zudem ist der kleine Antentempel nur in den oberen Schichten (1-3, Periode ID) vorhanden. Darunter (in den Schichten 4-10) befindet sich ein Wohnhaus an dieser Stelle, in dem nichts auf eine Nutzung als Tempel hinweist. Die meisten sonstigen Wohnäuser in diesem Viertel entsprechen dem Typus des Parzellenhauses. Diese Hausform ist allerdings in den älteren Schichten des Siedlungsviertels (9-11, Periode IB) nicht nachzuweisen. Das Viertel wird durch mehrere Gassen erschlossen, die nord-südlich (d.h. radial zum Tell) verlaufen. Im Norden enden diese Gassen an einer Mauer bzw. in einem Hof. Das Siedlungsviertel schließt an dieser Stelle mit einer durchgehenden Mauer ab. Nördlich schließt sich eine freie Fläche an, die offensichtlich als Abfallhalde genutzt wurde. Hier wurden Küchenabfälle, die Asche aus den Öfen und unbrauchbar gewordene Gefäße angeschüttet, man kippte sie einfach über die Abschlußmauer. Im Laufe der Zeit sammelten sich Schuttschichten von über 10m Mächtigkeit an. Danach wurde der Schuttberg zu hoch, man verlagerte das Viertel weiter nach außen. Die offenbar kreisförmige Freifläche lag genau im Zentrum der Stadt. Sie bestand bereits bei deren Gründung um 2800 v.Chr. und wurde einige Zeit lang sorgfältig sauber gehalten. Der bewußt freigehaltene zentrale Platz (von uns inzwischen "Anton-Moortgat-Platz" genannt) und die radiale Anlage der Verkehrswege zeigen, daß der Ort von Anfang an als Stadt gedacht war und sich nicht allmählich aus einem kleinen Dorf entwickelt hat. Der "Anton-Moortgat-Platz " ist nichts anderes als die Oberfläche eines noch älteren Tells aus neolithischer und chalkolithischer Zeit. Diese Siedlung bestand bis zur Mitte des 4.Jahrtausends v.Chr., sie war also schon ca. 800 Jahre verlassen, als die neue Stadt gegründet wurde. Bislang konnten aus den prähistorischen Schichten nur kleine Teile von dörflicher Wohnbebauung freigelegt werden. Im Jahr 1996 wurde ganz im Westen des Bereiches K die Grabung wiederaufgenommen. Bisher konnte dieser Teil noch nicht mit der Schichtenzählung im Ostteil in Verbindung gebracht werden; die Schichten werden deshalb vorerst getrennt gezählt. Auch an dieser Stelle befand sich ein normales Wohnviertel, das bis in die Anfangszeit der Periode ID bestand. In einer der jüngsten Siedlungsschichten (Schicht 3) fanden sich Hinweise auf handwerkliche Tätigkeit, möglicherweise auf Metallverarbeitung. Im Schutt dieser Schicht kam auch eine große Zahl gesiegeleter Türverschlüsse zutage, die einen recht umfangreichen Verwaltungsaufwand belegen. Da viele Siegelmotive mehrfach vorkommen und einige Motive schon aus früheren Grabungen bekannt sind, konnten die meisten Siegelfunde aus früheren Kampagnen (1976 und 1982) in die relative Abfolge auf dem Tell Chuera eingeordnet werden; sie gehören mit Schicht 3 in den Anfang der Periode ID. Die bekanntesten Funde vom Tell Chuera stammen aus dem Ostteil des Grabungsbereichs "Kleiner Antentempel ". Es handelt sich um eines Typs, der ansonsten hauptsächlich aus Südmesopotamien bekannt ist. Es konnten fünf mehr oder weniger vollständige Figuren und eine Reihe von Fragmenten geborgen werden. Sie stammen ganz überwiegend gar nicht aus dem Tempel, sondern aus zwei nördlich anschließenden Wohnhäusern. Die meisten Fragmente stammen aus Schicht 2. Da sie bereits zerbrochen angetroffen wurden, waren sie möglicherweise allerdings älter.

Bereich M - Mitanni-Bau

Die Grabungsstelle M liegt nördlich des Zentrums der Oberstadt, im Bereich einer vor allem von Süden gut erkennbaren Kuppe. Hier fanden in den Jahren 1974 und 1995 Grabungen statt. Dicht unter der Oberfläche fanden sich Mauern, die zu mindestens einem größeren Gebäude gehören. Der offensichtlich wichtigste Raum ist von langrechteckiger Form und vom Ende einer Längsseite her zugänglich. Grundrißform und einige Installationen legen eine Deutung als Tempel bzw. Kultraum nahe. Das Gebäude weist zwei Nutzungsphasen auf, die mit den Schichten 1 und 2 bezeichnet werden. Durch die hier gefundene Keramik ist das Gebäude in das 14.Jh., also die Mitanni-Zeit datiert. Unter der mitannizeitlichen Schicht 2 folgen mit Schicht 3 unmittelbar Überreste aus dem 3.Jt. Ein sehr umfangreiches Keramikinventar wurde auf einem der Fußböden dieser Schicht gefunden. Es gehört zu der akkadzeitlichen Periode IE und damit ganz an das Ende der ersten Siedlungsperiode auf dem Tell Chuera. Die nicht sehr ausgedehnten Baureste der Schicht 3 gehören offenbar zu normalen Privathäusern. Schicht 4 enthält ebenfalls Hausarchitektur, die ausgegrabenen Teile der Häuser entsprechen dem Schema der Parzellenhäuser. Die Funde datieren in einen jüngeren Abschnitt der Periode ID. Die Schicht 4-Häuser sind auf einer Asche-Schuttschicht gegründet, die offenbar als Abfallhalde eines weiter nördlich abschließenden Siedlungsviertels entstanden ist. Das Nebeneinander von dicht besiedelten Wohnvierteln und Freiflächen, die allmählich mit Abfall zugeschüttet wurden, ließ sich auch im Grabungsbereich K beobachten. 1974 wurde in einem kleinen Bereich eine Tiefgrabung angelegt, um die unter dem Ascheschutt befindlichen Kulturschichten zu untersuchen. Freigelegt wurden mehrere Räume eines Privathauses. Die hier gemachten Funde reichen aber nicht aus, um diese älteste Schicht im Grabungsbereich M genauer zu datieren. Bedeutendster Fund aus dem Bereich M ist ein Steinrelief.

Parzellenhäuser

Parzellenhäuser

Parzellenhäuser

Es wurde mit der verzierten Seite nach unten in der Ecke des oben erwähnten Kultraums der Schicht 2 gefunden, ist aber schon viel früher entstanden. Aus stilistischen Gründen ist eine Entstehung in der Akkad-Zeit (ca. 2300--2150 v.Chr.) wahrscheinlich. Dargestellt sind sieben nebeneinander thronende Göttinnen, die Kinder oder Tiere auf dem Schoß halten.

Bereich N - Nordtempel

An dieser Stelle im Norden der Oberstadt wurde nur im Jahr 1960 gegraben. Anlaß für die Untersuchung waren zwei Reihen von an der Oberfläche sichtbaren Kalksteinbrocken. Diese stellten sich nicht, wie erwartet, als Teile eines Tores, sondern als die Längsmauern eines Tempels heraus. Der Eingang zu dem freistehenden Kultraum erfolgte von einer Schmalseite aus, an der sich ein offener Vorraum befand. Der Tempel enspricht also dem Typ des syrischen Antentempels. Erhalten sind nur die Steinfundamente, das aufgehende Mauerwerk muß aus Lehmziegeln bestanden haben. In der unmittelbaren Umgebung des Tempels sind einige Räume ausgegraben worden, die vermutlich zu Wohnhäusern gehört haben. Das hierin gefundene Inventar deutet jedenfalls nicht auf eine offizielle Benutzung hin. Beide Strukturen, Tempel und Wohnräume, waren in Periode ID in Benutzung, möglicherweise auch noch in Periode IE. An dieser Stelle wurde in den unmittelbar unter der Oberfläche liegenden Schichten überwiegend Keramik aus dem 2.Jt. gefunden. Die Erosion hat aber offenbar einen Teil der ehemals vorhandenen Baureste aus der Periode II zerstört. Nur ein einziger Raum wurde in dieser obersten Schicht ausgegraben, er dürfte in Periode IIA (der Mitanni-Zeit) entstanden sein.

Bereich P - Unterstadt und Stadtmauer

Der ca. 200m breite Kranz der Unterstadt des Tell Chuera ist bisher nur im Norden in größerem Ausmaß untersucht worden. Hier hatte das Wadi Chuera sich an einer Stelle ca. 40m in den Tell gefressen und so eine Art natürliches Profil entstehen lassen. Es bot sich an, hier Grabungen aufzunehmen, um die stratigraphische Abfolge der Siedlungsschichten in der Unterstadt zu untersuchen. Dies geschah im Jahr 1983. Hier konnte in zwei von neun Arealen der gewachsene Boden erreicht werden. Daher repräsentieren die 9 Bauschichten, die hier angetroffen wurden, die gesamte Siedlungsgeschichte an dieser Stelle der Unterstadt. Die genannten Schichten verteilen sich auf die Perioden Chuera IC und ID, wobei die Schichten 9--6 der älteren Periode IC und die restlichen Schichten der Periode ID angehören. In den meisten Schichten sind die ausgegrabenen Strukturen wohl Reste von privaten Wohnhäusern. In Schicht 5 allerdings sind recht sorgfältig angelegte Mauern mit sichtbar belassenem Steinfundament angetroffen worden. Da die ausgegrabene Fläche nicht sehr groß war, ist eine überzeugende Deutung nicht möglich, es könnte sich hier aber um öffentlich genutzte Bebauung gehandelt haben. Räumlich getrennt von dieser Grabung wurde 1990 erneut im Bereich P gegraben. Ziel war es, die äußere Stadtbefestigung des Tell Chuera zu untersuchen. Mit Hilfe eines Radladers wurde ein 25m langer Schnitt durch die Stadtmauer angelegt.

Die Mauer ist aus Lehmziegeln gebaut, ca. 6m breit und 7,5m hoch erhalten. Bei ihrer Errichtung dürfte sie über 10m hoch gewesen sein. Insgesamt konnten 3 Bauphasen der Stadtmaueranlage nachgewiesen werden. In den jüngeren Phasen wies die Anlage eine Vormauer und ein Glacis (ein befestigter Sockel vor der Mauer mit abfallender Oberfläche) auf. Durch geologische Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, daß außerhalb der Vormauer ein Stadtgraben lag, der sich offenbar um den gesamten Tell herumgezogen hat. Zur Anlage dieses Grabens hat man das Wadi künstlich von der Ost- auf die Westseite des Tells verlegt. Die Stadtmauer hat mit Sicherheit in der Zeit der Periode Chuera ID bestanden und ist in Periode IE nicht mehr nachzuweisen. Es ist anzunehmen, daß sie bereits in der Periode IC errichtet wurde, dies konnte aber nicht nachgewiesen werden.

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