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Tell Chuera 1997 - Zusammenfassender Bericht über die 20. Grabungskampagne

Die Grabungskampagne 1997 dauerte vom 27.Juli bis zum 4.Oktober. Teilnehmer waren: Heike Dohmann-Pfälzner, Ilka Eichner, Dorothea Erbe, Georgia Heinzle, Jan-Waalke Meyer (Grabungsleiter), Peter Pfälzner, Angelina Poppke, Alexander Pruß, Sandra Schmidt, Annett Sonntag, Rebecca Wegener, Anne Wissing, Jens Zulauf aus Frankfurt, Tübingen und Halle.

Die meisten Mitarbeiter waren im Haus mit der Aufnahme und Bearbeitung von Keramik beschäftigt, die seit 1995 gefunden worden war. Die Aufnahme dieser Funde ist abgeschlossen, sie können für die weitere wissenschaftliche Bearbeitung genutzt werden.

Grabungen im Bereich K

Im Grabungsbereich K ("Kleiner Antentempel") wurde von einem Team unter der Leitung von Peter Pfälzner eine Grabungskampagne durchgeführt. Sie hatte zwei Ziele. Zum einen sollte der bereits 1995 untersuchte Teil des Siedlungsviertels weiter erforscht werden, um zu klären, ob die Parzellenhaus-Struktur der Schichten 4-7 (aus der Periode IC) auch schon in älteren Schichten bestanden hat. Zum anderen sollte die nördlich an das Viertel anschließende antike Abfallhalde untersucht werden, um die Stadtentwicklung im Zentrum des Tell Chuera zu klären.

Das Siedlungsviertel K

Im Siedlungsviertel K wurde eine Fläche von ca.350 m2 genauer untersucht. Zunächst wurde im gesamten Grabungsbereich, der die Reste von 6 Häusern umfaßt, eine einheitliche Schicht freigelegt (Schicht 7). Das Haus IV aus Schicht 7 ist ein schönes Beispiel für ein Parzellenhaus, es weist in einem der Haupträume eine sehr sorgfältig angelegte Herdstelle auf. Errichtet wurde dieses Haus zur Zeit der Schicht 8.

Haus IV in Schicht 7

Haus IV in Schicht 7

Haus IV in Schicht 7

In der nächstälteren Schicht 9 sind die Häuser aber von deutlich anderem Zuschnitt, sie sind sowohl im Grundriß als auch in der Gassenbreite nicht mehr einheitlich. Die Häuser XVIII und XIX zeigen eine unregelmäßige Anordnung einzelner Räume um einen zentralen Hof. Die Gasse, mit der die Häuser erschlossen wurden, befand sich aber schon in Schicht 9 an der gleichen Stelle, an der sie bis zum Ende der Besiedlung blieb. Dies zeigt, daß der Wandel zwischen Schicht 9 und Schicht 7 kein abrupter Bruch war. Neben dem Gassenverlauf blieben auch einzelne Hausgrenzen und Mauerverläufe am gleichen Platz. Einzelne Häuser standen zwischendurch leer - kein ungewöhnliches Phänomen innerhalb einer Stadt. Das Auftreten der Parzellenhäuser ab Schicht 8 kann zu der Vermutung Anlaß geben, daß zu dieser Zeit größere Teile des innerstädtischen Baulandes in regelmäßige Parzellen aufgeteilt und verteilt wurden. Dies ist ein deutliches Indiz für einen bewußten stadtplanerischen Vorgang.

Häuser XVIII und XIX in Schicht 9

Häuser XVIII und XIX in Schicht 9

Häuser XVIII und XIX in Schicht 9

Schicht 9 unterscheidet sich nicht nur in der Architektur, sondern auch in den Funden von den bisher bekannten Strukturen. Die Keramik weist gegenüber der Phase IC deutliche Veränderungen auf, sie wird nun als Vertreter der Stufe IB angesehen. Generell ist der Anteil handgemachter und häckselgemagerter Waren höher als in den jüngeren Schichten. Dominierende Gefäßformen sind auch hier kleine offene Gefäße. Sie sind aber viel häufiger oval verzogen und weisen eine fast senkrecht verlaufende Wandung auf. In größerer Häufigkeit treten hier auch Scherben der sog. "Karababa Painted Ware" auf, die vermutlich aus dem Norden importiert wurde. Die Schichten 9 und 10 sind älter als alle anderen vor 1997 freigelegten Schichten aus Tell Chuera, sie dürften in die Periode Früh-Gazira II (ca. 2600-2500 v.Chr.) gehören.

Scherben der bemalten Karababa-Keramik

Scherben der bemalten Karababa-Keramik

Scherben der bemalten Karababa-Keramik

Das Stadtzentrum

Die Bewohner des Stadtviertels im Bereich K haben ihre Hausabfälle (darunter viel Ofenasche) auf einen Abfallhaufen geschüttet, der unmittelbar hinter der Nordmauer des Viertels lag. Diese Halde war bereits 1995 als solche erkannt worden. Mit Hilfe eines Bulldozers wurde 1996 ein Schnitt in die Ascheschichten gelegt, die sich damals als mindestens 4m mächtig erwiesen. In dieser Kampagne wurde (wieder mittels eines Radladers) in diesen Schichten soweit abgetieft, bis wieder Baureste erreicht waren. Dies war aber erst 11m unter der rezenten Oberfläche der Fall, die Abfallhalde war an ihrem höchsten Punkt über 10m mächtig! Die Abfälle wurden über einen langen Zeitraum (mindestens 200 Jahre) kontinuierlich angeschüttet. In dieser Zeit blieb die Nordfassade des Siedlungsviertels (s.o.) praktisch unverändert an der gleichen Stelle. Die übereinandergesetzten Mauern der nacheinander errichteten Häuser ergeben eine über 8m hohe, sehr eindrucksvolle Fassade.

Fassade des Siedlungsviertels K

Fassade des Siedlungsviertels K

Fassade des Siedlungsviertels K

Unter der Abfallhalde liegt nicht - wie ursprünglich angenommen - ein später aufgegebenes, älteres Siedlungsviertel des 3. Jahrtausends, sondern eine fast völlig ebene und glatte Fläche, die auf fast 30m Länge freigelegt werden konnte. Offensichtlich handelt es sich um einen Platz, der eine Weile lang sorgfältig freigehalten wurde, und dessen Anlage bei der Gründung des Siedlungsviertels K bereits vorgesehen war. Die kieselgepflasterte Hauptstraße der Stadt querte den Platz. Als der Platz, den wir zu Ehren des ersten Ausgräbers von Tell Chuera "Anton-Moortgat-Platz" genannt haben, seine ursprüngliche Funktion verloren hatte und sich allmählich in eine Abfallhalde verwandelte, wurde eine Mauer errichtet, die das Zuschütten der Straße verhinderte.

"Anton-Moortgat-Platz" von Norden

"Anton-Moortgat-Platz" von Norden

"Anton-Moortgat-Platz" von Norden

Bei weiteren Untersuchungen stellte sich heraus, daß der "Anton-Moortgat-Platz" nichts anderes ist als die Oberfläche eines prähistorischen Tells. Zwar konnten wegen der beschränkten Grabungsfläche keine größeren, zusammenhängenden Strukturen freigelegt werden, die Keramik aus diesen Schichten (Bauhorizont X) gehört aber eindeutig in das 4. Jahrtausend. Vergleiche mit der gut dokumentierten Sequenz von Hammam et-Turkman (ca. 50km westlich des Tell Chuera) legen eine Datierung in die Zeitspanne zwischen 4000 und 3600 v.Chr. nahe. Ein Teil der Keramik (bis zu 20%) aus den Schichten des Horizont X ist allerdings noch älter, es handelt sich um Scherben aus der späten Halaf-Zeit (frühes 5. Jahrtausend v.Chr.), die durch ihre charakteristische Bemalung leicht erkennbar sind. Unter den spätchalkolithischen Schichten muß sich also auch noch ein Tell der Halaf-Zeit befinden.

Scherben der bemalten Halaf-Keramik aus Horizont X

Scherben der bemalten Halaf-Keramik aus Horizont X

Scherben der bemalten Halaf-Keramik aus Horizont X

Nach dem Ende der prähistorischen Besiedlung in der Mitte des 4. Jahrtausends blieb der Ort also einige Jahrhunderte lang unbesiedelt. Wann die Wiedebesiedlung erfolgte, läßt sich gegenwärtig nur schätzen, da die älteren Schichten des Siedlungsviertels K noch nicht ausgegraben sind und die Abfallhalde nur wenige stratifizierte Funde erbracht hat. Näherungsweise kann man als Datum 2800 v.Chr. bzw. die Periode Früh-Gazira I nennen. Damals entstand kein kleines Dorf, das allmählich anwuchs, sondern sofort eine städtische Anlage mit einer Hauptstraße, einem großen, zentralen Platz und umliegender Bebauung. Hier sind deutlich Elemente einer bewußten Stadtplanung zu erkennen, die ein beeindruckendes Bild der Urbanisierung Nordmesopotamiens im 3. Jahrtausend erkennen lassen.



Zusammenstellung: A.Pruß

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