Ausgrabungskampagne 1996 - Zusammenfassender Bericht über die 19. Grabungskampagne
Übersicht
Die 19. Grabungskampagne in Tell Chuera dauerte vom 18.8. bis zum 19.10.1996. Der Grabungsstab bestand aus W.Orthmann als Leiter und folgenden Mitarbeitern: U.Bock, I.Bösze, H.Brandl, D.Erbe, C.Falb, E.Fischer, M.Gütte, R.Heitmann, S.Jakob, K.Krasnik, R.Krautkrämer, M.Kudella, J.-W.Meyer, A.Murhaf, A.Pruß, W.-D.Stange, S.Stoyke, A.Wissing und J.Zech. Vertreter der Generaldirektion der Antiken und Museen war wiederum Murhaf al-Khalaf aus Raqqa. In dieser Kampagne wurde in folgenden Grabungsbereichen gearbeitet:
- Steinbau 1 (Ostseite, Bereich A)
- Steinbau 2 und 4 (Bereich B)
- Palast (Bereich F)
- "Kleiner Antentempel" (Bereich K)
- Mittelassyrische Siedlung (Bereich G).
Steinbau 2 und Steinbau 4
Kultbauten im Stadtzentrum
Die Arbeiten nördlich und östlich des Steinbau 2 führten in der Kampagne 1996 zu neuen Erkenntnissen hinsichtlich der Einbindung des Steinbau 2 in die Stratigraphie der umliegenden Areale. Der Steinbau 2 liegt auf einer Zusetzung von Räumen aus Schicht 4 auf bzw. ist in diese Schicht eingetieft, wie schon früher vermutet wurde. Neu ist jedoch die Erkenntnis, dass die nördlich des Steinbau 2 ergrabenen verbrannten Gebäude (die sog. Bäckerei und weitere Räume, vgl. den in Tell Chuera I publizierten Plan) nicht zu der Schicht 4 östlich des Steinbau 2 gehören, sondern zumindest mit einer Benutzungsphase des Steinbau 2 gleichzeitig sind. Es kann nunmehr davon ausgegangen werden, dass die ältere Bauphase des Steinbau 2 mit der älteren Bauphase des Steinbau 1 gleichzeitig bestanden hat. Wahrscheinlich hat der Steinbau 2 zunächst ebenfalls als ein lang-rechteckiger Bau auf einer erhöhten Terrasse gelegen und wurde erst sekundär mit einem zweiten Ausgang im Westen versehen und so zu einer Art Propylon umgestaltet. Da Schicht 4 östlich des Steinbau 2 älter ist als dessen Anlage, kann deren ungefähre Gleichzeitigkeit mit der Schicht 7 nördlich des Steinbau 1 postuliert werden. Gemeinsam ist den Gebäuden in beiden genannten Schichten auch, dass sie mit Lehmziegeln und Ziegelbruch zugesetzt wurden.
Die Bauten der Schicht 4 nordöstlich des Steinbau 2 konnten noch nicht genauer untersucht werden; der bisherige Eindruck vermittelt den Anschein eines Magazingebäudes. In diese zugesetzten Räume ist ein von Ost nach West abfallender Graben eingetieft. Dieser Graben war mit dem Brandschutt der weiter nördlich gelegenen Bauten der Schicht 3 aufgefüllt. Darin fanden sich zahlreiche große Vorratsgefäße in Sturzlage sowie die komplett erhaltenen Skelette von zwei Erwachsenen und zwei Kindern und weitere Skelettteile. Schon in früheren Kampagnen wurden im Brandschutt dieser Schicht Skelette in Falllage gefunden. Daher ist auch dieser Befund mit einer Katastrophe in Zusammenhang zu bringen, die im Bereich der Steinbauten 1 und 2 einen Einschnitt in der Entwicklung markiert.
Der Steinbau 4 ist nach dem jetzigen Forschungsstand als eine am Hang angelegte Terrasse anzusehen, von der bisher nur die fast 70m lange, massive Terrassierungsmauer freigelegt werden konnte. Auf dem Kalksteinfundament befindet sich aufgehendes Mauerwerk aus Lehmziegeln. Der Steinbau 4 ist in die Schicht 3 des Grabungsbereiches B einzuordnen. Im Osten des Steinbau 4 zieht eine Mauer von der S-Flanke des Steinbau 3 heran und verbindet die beiden Anlagen als Querriegel. Im Bereich südlich der Mauerecke zeigten sich verschiedene Strukturen, die darauf hindeuten könnten, dass es hier - zumindest in einer jüngeren Phase - ein Tor gegeben haben könnte, das mit einem inneren Stadtmauerring in Verbindung steht.
Die südwestliche Ecke des Steinbau 4 wurde vollständig freigelegt. Innerhalb des Gebäudes wurde ein überbauter Raum der Schicht 4 ergraben. In ihm gab es Installationen, die mit der Zubereitung von Nahrung in Zusammenhang stehen. Ein großer Kanal durchzieht diesen Raum von N nach S. Dies könnte darauf hindeuten, dass es weiter nördlich eine Hoffläche oder eine größere Gasse gab.
Die überwiegende Zahl der Keramikfunde kommt aus dem Kontext der Bauschicht 4. Diese Gefäße gehören eindeutig der Periode Chuera IC an und bestätigen die Datierung dieser Schicht in einen frühen Abschnitt der bisher bekannten Entwicklung des Tells. Die metallische Ware ist hier gut vertreten, ihr prozentualer Anteil übersteigt allerdings niemals 8%. Schicht 3 ist durch das erstmalige Vorkommen von Bechern mit flachem Boden gekennzeichnet, sie gehört in den Beginn der Periode ID.
Im südöstlichen Bereich des Steinbau 4 kommen in den obersten Straten relativ häufig Scherben zutage, die der Periode Chuera IE und damit der jüngsten Besiedlung des 3.Jt.s zuzurechnen sind. Besonders charakteristisch sind für diese Entwicklungsstufe hohe Becher mit abgesetztem, feinem Rand, die vor allem in den Grabungsbereichen Steinbau 5 und Palast F in großer Zahl gefunden wurden. Daher kann an dieser Stelle eine Besiedlung in Periode IE angenommen werden.
"Kleiner Antentempel"
Aufgrund der Grabungsergebnisse von 1995 hatte sich die Frage nach der Herkunft der im westlichen Teil des Grabungsgebietes ebenfalls sehr hoch anstehenden Asche- und Schuttschichten gestellt. Da in diesen Schichten in den Kampagnen 1976 und 1982 zahlreiche Tonverschlüsse mit Siegelabrollungen gefunden worden waren, schien eine Klärung dieser Frage von besonderem Interesse. Für 1996 wurde deshalb geplant, durch die Rückverlegung der Grabungskanten im Westen und Süden des früheren Grabungsgebietes Nord-Süd- und Ost-West-Profile zu gewinnen. Nach Möglichkeit sollte hier zugleich die Schichtenfolge und die Struktur der Bebauung geklärt werden, da hier 1982 mehrere Bauschichten übereinander angetroffen und gemeinsam dokumentiert worden waren.
In allen neu angelegten Schnitten fanden sich bereits dicht unter der Oberfläche mächtige Ascheschichten, die - in sich nur wenig gegliedert - die oberste Bauschicht überlagerten. Nur im Süden des Arbeitsbereiches werden diese Ascheschichten von Lehmziegelverfall überlagert, in dem Reste weitgehend erodierter Lehmziegelmauern zu erkennen waren. In der für den Westteil des Bereichs "Kleiner Antentempel" neu aufgestellten Abfolge werden diese Reste als Bauschicht 1 bezeichnet. Ein an dieser Stelle dokumentiertes N-S-Profil läßt unter der Bauschicht 1 ein in sich in Bänder gegliedertes, etwa 1,4m starkes Paket von Ascheschichten erkennen, das als Bauschicht 2 bezeichnet wurde. Nach Norden zu steigt die Unterkante dieser Schicht steil an; sie zieht über eine Lehmziegel-Mauer hinweg, die hier bis ca. 40cm unter die Oberfläche aufragt. Diese Mauer gehört zu der Bauschicht 3. Der Verfallschutt der Bauschicht 3 gliedert sich deutlich in eine Ascheschicht mit Ziegelbruchstücken, Steinen und Scherben (Schicht 3a) und darunter den Lehmziegelverfall der Mauern (Schicht 3b).
Bereich K - West, Schicht 3
Von Bauschicht 3 sind in den neu eröffneten Grabungsbereichen vor allem zwei Wohneinheiten mit mehreren Räumen und einem Hof gefunden worden. An einigen Stellen werden in Bauschicht 3 die Mauern der Bauschicht 4 als Fundament für die Mauern weiterbenutzt; dies scheint jedoch keineswegs überall der Fall zu sein. Das Gelände wurde offenbar am Ende der Bauschicht 3 zunächst aufgegeben, und blieb längere Zeit über unbesiedelt, so dass sich hier Schuttschichten ansammelt konnten. Bei der Grabung fiel auf, dass dieser Schutt verhältnismäßig wenige Tierknochen enthielt; wenn es sich hierbei um Abfälle aus Haushaltungen handelte, könnte man einen wesentlich höheren Anteil der Knochen unter den Funden erwarten. Man kann deshalb annehmen, dass die Ascheabfälle eher aus einer handwerklichen Produktion stammen.
Eine Bestätigung hierfür ist vielleicht darin zu sehen, dass in die Ostecke eines Raumes sekundär ein großer Brennofen eingebaut worden ist. Die Feuerkammer hatte eine rechteckige Form; die Ost- und Nordmauern des Raumes wurden als Wände des Ofens weitergenutzt. Das Innere des Ofens war mit dem teilweise durch Hitzeeinwirkung verglasten Schutt der Lochtenne und der Wände der Brennkammer gefüllt; eine Rekonstruktion der Lochtenne und der (kuppelförmigen ?) Brennkammer ist wegen der starken Zerstörung nicht möglich. Zu welchem Zweck die Anlage benutzt wurde, ist ebenfalls unklar: in ihrer Umgebung fanden sich nicht die für Keramikbrennöfen kennzeichnenden, fast immer in großen Mengen anfallenden Fehlbrände. Östlich des Ofens fanden sich, allerdings nicht mehr in ungestörter Lagerung, zahlreiche Fragmente von "Gußkuchen" aus Kupfer oder Bronze. Ein vergleichbares, besser erhaltenes Stück war schon früher in diesem Bereich aufgelesen worden; seine Analyse durch A.Hauptmann vom Bergbau-Institut in Bochum erbrachte seinerzeit allerdings keine Klärung des metallurgischen Funktionszusammenhanges. Eine Verwendung unseres Ofens zum Verhütten von Erz oder zum Schmelzen von Rohmetall ist wegen seiner Größe nach dem Urteil von Fachleuten eher unwahrscheinlich.
Die Reste der Bauschicht 3 sind von besonderem Interesse, weil sich in deren Verfallschutt (Schichten 3b und 3a) zahlreiche Tonverschlüsse mit Siegelabrollungen fanden; in dem darüber liegenden Schutt (Schicht 2) kommen sie dagegen sehr selten vor. Es ist zu vermuten, dass die 1976 und 1982 gefundenen Tonverschlüsse größtenteils aus den gleichen Schichten kommen. Unter den neu gefundenen Abrollungen befinden sich auch solche bereits bekannter Siegel. So sind beispielsweise von einem zweiregistrigen Siegel, von dem 1976 und 1982 insgesamt 49 Abrollungen gefunden worden waren, sechs weitere Siegelungen in den Schichten 3b und 3a gefunden worden.
Bereich K - West, Schicht 4
Zu der Bauschicht 4 sind einerseits die meisten der Baureste zu rechnen, die von U.Moortgat-Correns in ihrem Bericht über die Kampagne 1982 der oberen Schicht zugewiesen wurden, andererseits Anlagen, die in einem nach Süden anschließenden Streifen aufgedeckt wurden. Diese Bauschicht gliedert sich zweifellos in mehrere Bauphasen, die aber bisher noch nicht durchgängig gezählt werden können, weil sich keine unmittelbare stratigraphische Verbindung zwischen dem nördlichen und dem südlichen Grabungsbereich herstellen ließ. Ein durchgehender Mauerzug teilt diesen südlichen Bereich - einen Hof, in den später zwei kleine Räume eingebaut wurden - von dem Hof [80] und den an ihm im Norden angrenzenden Räumen. Wie zwei Sondagen in dem Bereich vom Hof [80B] gezeigt haben, befand sich an dieser Stelle ursprünglich eine Straße. Zumindest in den bisher ergrabenen jüngeren Phasen der Bauschicht 4 war diese Straße jedoch durch einen Torraum abgeschlossen und zu einem Hof umgestaltet worden. Die wahrscheinlich auf den Fundamenten älterer Anlagen errichteten Raumgruppen [74]+[74A] sowie [72]+[73] erinnern sehr an die Straßenfronten der Parzellenhäuser im Ostteil des Bereichs "Kleiner Antentempel": es scheint sich ursprünglich jeweils um den Torraum und den danebenliegenden Hauptraum eines Hauses zu handeln, dessen Hofbereich weiter nördlich gelegen haben dürfte. Ob diese Baustruktur in einer noch älteren Phase der Bauschicht 4 nachzuweisen sein wird, ist ungewiß; für die Bauschicht 5 darf sie jedoch postuliert werden.
Bereich K - West, Schicht 5
Bauschicht 5 entspricht größtenteils der "unteren Schicht" in dem Bericht über die Grabung 1982. Während die nördlichen Räume noch nicht wieder gereinigt und untersucht werden konnte, wurde im südlichen Teil Raum [68] und der nach Norden anschließende Hofbereich [217] erneut freigelegt. Dabei bestätigte sich die Vermutung, dass an Raum [68] nach Osten hin einer der typischen Korridorräume anschließt (Raum [216]), durch den eine Wasserrinne von Hof [217] her zu der bereits erwähnten Ost-Weststraße führt. In einem schmalen Streifen von ca. 2m Breite wurde weiter abgetieft, um die Fortsetzung der westlich neben Raum [66] von Norden her kommenden Wasserrinne zu erfassen. Dabei fand sich eine Abfolge von drei schmalen, korridorartigen Räumen, durch welche die Rinne hindurchführte, um dann schließlich die Ost-West-Straße zu erreichen.
Die insgesamt 95 Siegelabrollungen dieser Kampagne befinden sich mehrheitlich auf Türverschlüssen. Dies bedeutet, dass die entsprechenden Siegel lokal verwendet worden sind, was bei Abrollungen auf Gefäßverschlüssen nicht gesichert ist. Eine Sichtung der in Raqqa aufbewahrten Abrollungen aus den früheren Kampagnen im Grabungsbereich "Kleiner Antentempel" ergab, dass auch diese überwiegend auf Türverschlüssen angebracht sind.
Auf der Abrollung 96.K.142 sind mehrere Tiere in einer Figurenbandszene zu erkennen. Eine überlängt dargestellte Gazelle steht mit den Vorderbeinen auf der Standlinie, während der Hinterkörper nach oben hochgerissen ist. Das Tier wird von einem Löwen angefallen, von dessen Darstellung allerdings nur ein Teil der Umrißlinie erhalten ist. Ein weiteres Wesen, ein Stiermensch oder ein Rind, wird mit dem Löwen überkreuzt gezeigt. Eine ganz ähnliche Szene ist auf einem 1976 im gleichen Bereich gefundenen Siegelabdruck zu erkennen. Beide lassen sich mit südmesopotamischer Glyptik der Stilstufe ED IIb vergleichen.
Bei dem am häufigsten gefundenen Siegel handelt es sich nicht um ein Roll- sondern um ein Stempelsiegel. Die Darstellung zeigt eine siebenblättrige Rosette, bei der die einzelnen Blätter lediglich durch runde Punkte wiedergegeben sind.
Die Keramik aus dem Grabungsbereich K entspricht dem bislang bekannten Repertoire. Die früheren Phasen der Chuera-Sequenz (Periode IC) sind Schicht 5 gleichzusetzen. Aus dem Hof [217] kommt ein halbkugelförmiger Napf mit S-förmig geschwungener Wandung, eine Leitform dieser frühen Phase. Aus dem Bereich des oben erwähnten Ofens in Schicht 3 kommen hingegen zwei Näpfe mit Standboden und gerader Wandung, die für Periode ID charakteristisch sind. Der Napf 96.K.112 dürfte zum Gießen von Teer verwendet worden sein, da er innen mit Teer überzogen ist und sich auf der Außenseite Schüttspuren finden.
Bereich F ("Palast")
"Palast", Schicht 2
Bei den seit 1985 durchgeführten Ausgrabungen im Nordwesten der Oberstadt des Tell Chuera sind ein Siedlungs- und Werkstättenviertel aus der Akkad-Zeit (Bauschicht 1) und ein darunter liegendes, palastartiges Gebäude aus der ausgehenden Frühdynastischen Zeit (Bauschicht 2) angetroffen worden. Die Grabungen des Jahres 1996 hatten im Wesentlichen drei Zielsetzungen: Eine Untersuchung der stratigraphischen Abfolge der Bauschicht 1, die Freilegung der südwestlichen Ecke des Palastes der Bauschicht 2 und die Untersuchung der unteren Palastterrasse im Nordteil der Kuppe.
Bauschicht 1 läßt sich in drei Bauphasen einteilen. Die älteste Bauphase 1c ist durch die teilweise Wiederbenutzung von Palasträumen, die Anlage kleiner Räume im Bereich der Palasthöfe und durch die Anwesenheit von Keramikwerkstätten gekennzeichnet. Bauphase 1b stellt teilweise nur einen Umbau der Phase 1c dar, bei dem die Struktur der meisten Gebäude erhalten blieb, bei der aber kaum noch Palasträume wiederbenutzt werden. Bauphase 1a befindet sich unmittelbar unter der rezenten Telloberfläche. Sie ist durch die Erosion teilweise stark beschädigt. Die Gebäudegrundrisse dieser Bauphase weichen an einigen Stellen deutlich von jenen der Phase 1b ab.
In Bauschicht 2 wird die gesamte Kuppe F von einem großen öffentlichen Gebäude eingenommen, das als "Palast" bezeichnet wird. Aufgrund der bereits bei seiner Anlage bestehenden Höhenunterschiede ist es terrassiert angelegt. In einer ersten Bauphase (2b2) mißt das Gebäude ca. 45 x 45m, es wird später um ca. 20m nach Westen erweitert (Bauphase 2b1). In dieser Zeit dürfte der "Palast" seiner ursprünglichen Konzeption gemäß genutzt worden sein. In Bauphase 2a hingegen sind die Räume der unteren Terrasse nicht mehr in Gebrauch. Auch im höhergelegenen Teil des Baus werden ganze Raumketten zugesetzt; in anderen Räumen werden Werkstätten eingerichtet.
Der südwestliche Bereich des "Palastes" war bislang nur teilweise ausgegraben. In diesem Jahr gelang es, die Ecke des Gebäudes zu erfassen. Die Südmauer des "Palastes" verläuft gerade nach WNW, bis sie auf eine massive Quermauer trifft. Eine solche breite Mauer war bereits 1990 weiter nördlich geschnitten worden; bei der nun angetroffenen Mauer dürfte es sich um ihre Fortsetzung handeln. Der Umstand, dass diese Mauer über den Bereich des "Palastes" F weiter nach Süden führt, bestätigt die Vermutung, hier eine Art innere Stadtmauer angetroffen zu haben, die gleichzeitig als westliche Begrenzung des "Palastes" dient. Die Räume im Südwestteil des "Palastes" gehören zu einem Wirtschaftstrakt, in dem mit Feuer hantiert wurde. Dies ergibt sich aus der großen Aschemenge auf den Fußböden und verschiedenen Feuerstellen in den Räumen. Bislang ist nicht geklärt, ob hier eine größere Küche oder ein Werkstattbereich vorliegt.
Mit Sicherheit zu einem Küchentrakt gehört das kleine annähernd quadratische Zimmer [45], das nur durch eine einzige Tür von Osten her zugänglich war. Er weist ein sorgfältig verlegtes Steinpflaster auf. In die südöstliche Ecke des Raumes war ein großes Vorratsgefäß mit weiter Mündung installiert. Es zeichnet sich durch einen netzartigen Dekor auf der Außenseite aus. Bereits in der Antike mit Bitumen repariert, diente es zur Aufnahme von Flüssigkeit, vermutlich Trinkwasser. Es kann angenommen werden, dass auch Lebensmittel in diesem Raum gewaschen wurden. Weiter nördlich wurden Räume freigelegt, die wohl als private Wohnung genutzt worden sind. Unter ihnen befindet sich ein Badezimmer mit wasserfestem Verputz und Wasserabfluß. Der Wirtschaftstrakt war also auf einen ca. 12 x 18m großen Bereich in der Südwestecke des Palastes beschränkt.
In einem Steg verborgen lag bisher der Durchgang vom Hof [8] zu Raum [12], der zweifellos den Hauptzugang zu dem "Thronsaal" [12] darstellt. Diese sehr breite Tür weist einen großen, gut zugehauenen Steinblock als Schwelle auf, und ist von Norden her abgetreppt. Da der zentrale Punkt in Raum [12] sicherlich in dem Podest an der Ostwand zu sehen ist, kann man die Zugangssituation als dem "Knickachsschema" folgend beschreiben.
Bereits zur unteren Terrasse gehört der rechteckige Raum [19], vermutlich ein Wohnraum, der mit über 2m ungewöhnlich hoch erhalten ist. Er war bislang nur zur Hälfte freigelegt. Die Verfüllung wurde im Lauf der Grabung 1996 auch in der Westhälfte entfernt. Sie gehört größtenteils zu Bauschicht 1c, als der Raum noch offengestanden haben muß. An der Architektur dieses Raumes ist vor allem ein vollständig erhaltener, überwölbter Durchgang im Nordosten bemerkenswert. Die stratigraphische Relation zwischen diesem Raum und der oberen Palastterrasse konnte 1996 allerdings nicht mehr geklärt werden.
Zur Bauschicht 2a gehören zwei nacheinander an der gleichen Stelle angelegte, große rechteckige Gipsbecken mit niedriger Einfassungsmauer. Sie sind in einem der Wirtschaftsräume im SW installiert. Das jüngere Becken war deutlich besser erhalten, es mißt ca. 2.00 x 3.00m. Eine Rekonstruktion als Bad erscheint wenig überzeugend, da das Becken nach drei Seiten offen war. Da wegen der geringen Tiefe auch eine Deutung als Schlämmbecken nicht naheliegend ist, muß dieses Becken bei einem anderen, gegenwärtig nicht näher bestimmbaren Arbeitsprozeß gebraucht worden sein.
Unter den freigelegten Fußböden der Bauschicht 2b2 befinden sich zumindest im Zentralbereich des Palastes keine weiteren Böden der Schicht 2. Inzwischen ist also der bei Anlage des Palastes intendierte Zustand erreicht. Dies geht aus dem Profil einer Grube hervor, die von Bauschicht 1b aus ca. 2m eingetieft wurde und mehrere Palasträume durchschlagen hat. In Bauschicht 3 scheint sich aber ebenfalls ein größeres, öffentliches Gebäude an dieser Stelle befunden zu haben.
Die auch im Lauf dieser Kampagne in größerer Menge gefundene Keramik entspricht im Wesentlichen den bereits in früheren Jahren gefundenen Waren und Formen. Der Bau der Schicht 2 wurde noch zur Zeit der Periode Chuera ID angelegt; diese Periode ist wegen der planmäßigen Aufgabe des "Palastes" im Fundmaterial nur schlecht vertreten.
In Bauphase 2a wird der Bau umgenutzt, Teile dienen jetzt als Keramikwerkstätte. Allein schon die Zahl der Fehlbrände aus dieser Schicht vermittelt eine gute Kenntnis ihres Formenspektrums. Hier handelt es sich um recht dickwandige Becher und Schalen mit abgesetztem Standfuß und leicht ausladender Randlippe. Daneben setzt offenbar in dieser Schicht auch die Produktion von hohen dünnwandigen Bechern mit feinem, abgesetztem Rand ein, die als Leitform der Periode Chuera IE gelten können. Sie kommen einige Male auf sicher stratifizierten Fußböden zusammen mit den eben beschriebenen Formen vor.
Die Werkstätten der Schicht 1 stellten wenige, standardisierte Gefäßformen her, ganz überwiegend die schon lange bekannten Becher und Schalen mit feinem, abgesetztem Rand. Als typisch für die Chuera IE-Keramik können auch dünnwandige Flaschen mit eiförmigem Körper und hohem, zylindrischen Hals gelten. Erstmals konnte ein praktisch unversehrtes Exemplar einer solchen Flasche geborgen werden. Neben der lokal hergestellten Standardware finden sich in den Hausinventaren abseits der Werkstätten auch Luxuswaren wie eine vermutlich aus Westen importierte "syrische Flasche".
Das Siegel 95.F.307 aus weichem Muschelkalk ist bereits 1995 in der Fuge einer Mauer der Bauphase 2b1 gefunden worden. Es konnte jedoch erst in dieser Kampagne gereinigt und konserviert werden. Die Darstellung ist in einem nordsyrischen linearen Stil gehalten. Zu sehen ist ein vierrädriger Wagen, der von einem Equiden nach links gezogen wird. Eine in der hinteren Wagenhälfte stehende Person scheint einen vor ihr stehenden Gegenstand zu halten, bei dem es sich um eine Art Standarte handeln könnte. Hinter dem Wagen steht eine weitere Person.
Viel zahlreicher als in Schicht 2b und auch sehr viel detailreicher gestaltet sind die jüngeren Terrakotten, die vereinzelt schon in Schicht 2a vorkommen, ganz überwiegend aber aus den Bauphasen 1b und 1c stammen. Da bei den anthropomorphen Figuren überwiegend weibliche Darstellungen vorkommen, sind zwei männliche Figuren aus der Kampagne 1996 bemerkenswert. Die beiden Funde setzen sich auch durch die Angabe von Spitzbart bzw. von Strähnen des Haupthaares von vergleichbaren Figuren aus dem mittleren syrischen Euphratgebiet ab.
Außerordentlich filigran gestaltet ist der Kopf der Figur 96.F.201, die eine Frau mit hochgebundenem Haarknoten darstellt. Die Wiedergabe der Augen durch kaffeebohnenförmige Appliken hat sie mit Vergleichsstücken vor allem aus dem Haburgebiet gemein.
Bereich G (Mittelassyrische Siedlung)
Mittelassyrischer Statthalter-Palast
Ziel der diesjährigen Arbeiten war es, Fragen zur Stratigraphie und Baugeschichte des mittelassyrischen Statthalter-Palastes (Schicht 3) sowie dessen Relation zur nachfolgenden Bebauung durch Privathäuser (Schicht 2) zu überprüfen. Hierzu wurde die gesamte Fläche von "Bereich G" einschließlich der Profile erneut gereinigt und dokumentiert. Nur nach Süden und Westen wurde die bisherige Grabungsfläche erweitert, vor allem um den Abschluß der Bebauung der Schicht 3 in diesen Bereichen zu klären. Gerade für die Bauschicht 3 können bisher allerdings nur vorläufige Ergebnisse vorgelegt werden können, da die Arbeiten noch nicht abgeschlossen werden konnten.
Die Bebauung der Schicht 2 wurde bisher in mehrere Bauphasen gegliedert. Nach den Befunden von 1996 zu urteilen sind zwar verschiedene Um- und Anbauten anzunehmen, jedoch nicht zwingend eine Abfolge von Neubauten; vielmehr scheint eine Terrassierung der Bebauung nach Osten hin vorzuliegen. Dies wird auch aus den neu gezeichneten Hangprofilen deutlich, die zeigen, daß zumindest ein Teil der Mauern der Schicht 2 unmittelbar auf solche der älteren Schichten gegründet wurde.
Weiterhin wurden einige bisher als "Ziegelpflaster" bezeichneten Strukturen näher untersucht. In den untersuchten Bereichen konnte eindeutig nachgewiesen werden, dass es sich dabei um vollständige Zusetzungen einzelner älterer Räume handelt. Grundsätzlich ist festzustellen, dass ein großer Teil der Räume der Schicht 3 unmittelbar vor dem Neubau der Schicht 2 zugesetzt worden ist, und dass die so geschaffenen Flächen aus Lehmziegeln als Fundament für die neuen Häuser gedient haben. Es handelt sich insgesamt um eine relativ ausgedehnte Bebauung aus einzelnen, mehrräumigen Häusern, die zu beiden Seiten einer von SW nach NO ansteigenden Gasse liegen. Die Häuser bestehen durchweg aus einem häufig gepflasterten Hof mit Ofenanlagen und mehreren daran angrenzenden Räumen. Zu den bisher freigelegten Bestattungen unter den Fußböden der Häuser kamen in dieser Kampagne weitere Erd- und Topfgräber hinzu, von denen ein Erdgrab mit der Bestattung eines jugendlichen Mädchens mit goldenen Ohrringen und mehreren Perlen besonders reich ausgestattet war (s.u.).
In Schicht 3 konnten durch erneutes Putzen der Flächen und Profile einige Mauerverläufe geklärt werden, vor allem im Bereich der erwähnten "Ziegelpflaster". Bei diesen Zusetzungen lassen sich verschiedene Baumaßnahmen voneinander unterscheiden. So hat die Trennmauer zwischen Raum 2 und dem Hof 3 in der ältesten Phase der Schicht 3 sicher nicht in der bisher dokumentierten Form bestanden. Hier gab es eine ausgedehnte, U-förmige Ofenanlage, die nach Norden hin offen ist. Daher ist der gesamte Bereich eher als offener Hof anzusehen. Die südlich des Ofens gelegenen Tontafeln aus der Grabungskampagne 1992 waren möglicherweise ursprünglich nicht hier gelagert, sondern in einem der angrenzenden Räume. Vielfach sind Mauern verdrückt worden, denen anschließend mehrfach Ziegel vorgeblendet wurden. Einige Male sind die betroffenen Räume aber auch vollständig zugesetzt worden. Nach Süden schließt sich an diesen Komplex ein weiterer Raum (11/12) an, der offensichtlich vollständig mit gut verlegten Ziegeln zugesetzt war. Im Fußboden des Raumes ließen sich mehrere mit Asche verfüllte Gruben nachweisen, die untereinander mit schmalen Rinnen verbunden sind. Vor allem im Westen des Raumes fand sich ein Netz derartiger Rinnen, die zu einer Grube gehören, in der Reste von Bronzeschlacke zutage kam. Zweifellos wurde hier eine Art Werkstattbereich angeschnitten, der sich möglicherweise noch weiter nach Osten erstreckt. Problematisch ist auch der nach Süden anschließende Bereich. Die Südmauer des oben beschriebenen Werkstattbereichs ist ungewöhnlich tief fundamentiert und reicht in die älteren Schichten aus dem 3.Jt. hinein. Anzeichen sprechen dafür, daß es sich hier um einen offenen Entsorgungsbereich handelt, der nach Westen, d.h. der dem Abhang zugewandten Seite, nicht geschlossen war.
Schließlich konnte 1996 noch die Westbegrenzung der Gesamtanlage freigelegt werden. Sie weist, entsprechend dem natürlichen Hangverlauf, eine abgetreppte Fassade auf. Kleinere Kanäle und Rinnen führen von den hier gelegenen Räumen jeweils nach außen.
Im Osten wurde der vermutete Eingangstrakt untersucht. Es zeigte sich, dass die beiden Bastionen als Fundamentierungen für Bauten der Schicht 2 gedient haben. Auf diesen Fundamentierungen konnten in einigen Teilen noch Reste von Häusern nachgewiesen werden. Die Ziegelsetzung ist hier nur drei Lagen hoch und unmittelbar auf einem Fußboden der Schicht 3 gegründet. Bei einem partiellen Abbau dieser Ziegelsetzung stellte sich heraus, dass sie in ihrem Kern eine von NO nach SW verlaufende Mauer umfaßt, die den Ostabschluß des Gebäudes bilden dürfte. Unsicher bleibt allerdings noch, ob sich in diesem Bereich wirklich der Zugang befunden hat; in der ältesten Phase scheint die Ostmauer durchzulaufen und nur durch einen Entwässerungskanal unterbrochen zu werden.
Da sich die Grabungen im Bereich der mittelassyrischen Siedlung größtenteils auf die genauere Untersuchung bereits früher gegrabener Areale beschränkte, hält sich die Zahl der Funde in engen Grenzen. Größere Keramikinventare wurden nicht angetroffen. Die gefundenen Stücke stammen aus den Schichten 2 und 3 und gehören zum Standardrepertoire der im gesamten mittelassyrischen Herrschaftsgebiet relativ einheitlichen Keramik. Häufigste Form ist die Knickwandschale aus grob häckselgemagerter Ware.
Hinweis auf eine mögliche Stationierung von Militäreinheiten sind gelegentlich gefundene Waffen. Eine Geschoßspitze aus Bronze ist in einer Grube der Schicht 2 gefunden worden. Bei einer Länge von fast 10cm dürfte sie für eine Verwendung als Pfeilspitze zu schwer gewesen sein und ist daher als Speer- oder Lanzenspitze anzusprechen. Zumindest in Schicht 2 sind Gegenstände aus Eisen gar keine große Seltenheit mehr. Neben Werkzeugen sind vor allem Schmuckgegenstände, wie Armringe aus diesem Material gefertigt.
Auch im Grab 96.G.001 kommen Gegenstände aus Eisen vor, hier handelt es sich allerdings um ein Paar Beinringe. Die der Bestatteten mitgegebenen Armringe bestanden hingegen aus Bronze. Eine Vielzahl von Perlen dürfte zu mindestens zwei verschiedenen Ketten gehört haben. Die meisten Perlen sind von einfacher zylindrischer oder zigarrenförmiger Gestalt und bestehen aus Fritte oder Karneol. Bei einem länglichen Anhänger handelt es sich um einen wiederverwendeten Kern aus Obsidian (möglicherweise ein Altstück), der zu klein gewesen sein dürfte, um aus ihm noch weitere Klingen abzudrücken. Aus dem Grab konnte auch eine Miniaturschüssel mit angesetzter Tülle geborgen werden, die aus hellblauer Fritte besteht. Besonders bemerkenswert sind insgesamt zehn Ohrringe aus Gold, die im Bereich des Kopfes, aber auch auf der Brust der Toten liegend, geborgen wurden. Sie entsprechen einander fast vollständig: Ein halbmondförmiger Körper aus getriebenem Goldblech ist mit je drei umlaufenden Doppelleisten besetzt.
- Tell Chuera 1997 - Zusammenfassender Bericht über die 20. Grabungskampagne
- Tell Chuera 1998-1999 - Zusammenfassender Bericht über die 21. und 22. Grabungskampagne
Zusammenstellung: A.Pruß